MSH. MZ: Martina, du kandidierst für DIE LINKE für die kommenden Europawahlen. Du sitzt bereits eine Legislaturperiode im Europäischen Parlament und hast u.a. unseren Landesverband Sachsen-Anhalt betreut. Warum ist es wichtig, am 26.Mai zur Wahl zu gehen?
Bei dieser Europawahl geht es um viel. Vor allem geht es um die Frage der weiteren Zukunfts- und Handlungsfähigkeit der EU. Wird es ein „Weiter so!“ geben, oder schaffen wir es, die EU zu reformieren? Wir werden dabei möglicherweise mit einer neuen Realität konfrontiert werden: Erstmals könnten europafeindliche Parteien im Europäischen Parlament de facto eine Sperrminorität erreichen, und so künftig Entscheidungen blockieren, wenn es nicht gelingt, parlamentarische Mehrheiten jenseits von rechter Hetze, Ausgrenzung und Rassismus zu organisieren. Das wird nur gelingen, wenn wir schonungslose Kritik mit konkreten und tragfähigen Alternativkonzepten verbinden, die bei den realen Problemen der Menschen ansetzen. Das europäische Projekt – wenn es reformiert wird – ist viel zu wertvoll, als dass man es den Rechtspopulisten, die es zerstören wollen, überlässt! Deshalb kommt es tatsächlich auf jede proeuropäische Stimme an.
MZ: Was möchtest Du in der kommenden Legislaturperiode für Sachsen-Anhalt erreichen?
Mein Arbeitsschwerpunkt ist die Regionalpolitik, dabei geht es ganz wesentlich um die Europäischen Regionalfördermittelfonds. Die EU und die Regionen selbst haben mit der Regionalförderpolitik in den vergangenen 30 Jahren viel zur Entwicklung gerade im Osten Deutschlands getan. Aktuell stehen die Verhandlungen über die Gesetzgebung über die Fördermittelfonds EFRE, ESF und ELER und auch über die Agrarpolitik der kommenden Förderperiode 2021-2027 an. Es geht also darum, ob, wieviel und wofür Geld aus Brüssel für Projekte in Sachsen-Anhalt bereitstehen wird. Ich will, dass mit EU-Mitteln ein sozialer und ökologischer Strukturwandel unterstützt wird, dass die besonderen Bedürfnisse der Städte wie ländlicher Räume ernst genommen und grenzüberschreitende Zusammenarbeit vor Ort erleichtert wird. Bürokratieabbau ist dabei stets eine zentrale Forderung - gerade wo kleinere Projekte betroffen sind, beispielsweise die Dorf- oder Stadtteilinitiativen, Wohlfahrtsorganisationen, NGO oder Projekte, die Kultur- und Medienschaffende vor Ort auf die Beine stellen. Kleine und mittelständische Unternehmen, die gute Arbeitsplätze schaffen, vor Ort zum Steueraufkommen und zu umweltbewusstem regionalem Wirtschaften beitragen, sollen die Europäische Union als Vorteil erleben, statt als Verwaltungsmonster.
Neben meinen Fachthemen der Regionalpolitik und der Kultur- und Medienpolitik stehe ich als Linke natürlich für den Anspruch auf grundlegende Veränderungen in der Europäischen Union, denn sie ist nach meiner Auffassung in schlechter Verfassung. Sie braucht eine verbindliche und gezielte soziale Ausrichtung, wie z.B. Mindestrenten und Mindestlöhne und muss sich an den Bedürfnissen der Bürger*innen orientieren, statt an Interessen der Banken und Konzerne. Mehr Demokratie, Stärkung der Einflussnahme des Europäischen Parlaments, mehr demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger und eine klare friedensstiftende Politik statt mehr Aufrüstung - auch dafür übernehme ich als überzeugte Europäerin seit 2014 bereits bewusst Verantwortung, um die EU in diese Richtung zu verändern. Mir persönlich ist wichtig, dass es einen Gegenpol zu alten und neuen Rechten und Rassisten gibt, die längst ganz unverhohlen den kulturellen Austausch, freie Medien und Frauenrechte europaweit angreifen und mit Ethnonationalismen alles „Fremde“ verteufeln.
MZ: Was hast Du bisher im EP getan, welche Effekt hatte das für Sachsen-Anhalt?
Mein Grundsatz war und ist: „europäisch denken und lokal handeln“. Europa geschieht zu großen Teilen vor Ort. Hier wird Europapolitik konkret und berührt die unmittelbaren Interessen der Bürgerinnen und Bürger - eben auch dank der EU-Fördermittel. Ich habe mich deshalb regelmäßig vor Ort über Probleme bei der Umsetzung der EU-Politik informiert, natürlich auch gern über Erfolge engagierter Projekte, zuletzt u.a. in Magdeburg und im Jerichower Land, in Halle und Halberstadt, in Wolfen und Wettelrode.
Nach den ersten Touren durch Sachsen-Anhalt nach den Europawahlen 2014 hatte ich die Idee, eine Informationsplattform anzubieten, die die Suche nach geeigneten EU-Fördermittel-Quellen erleichtert. Die Besucherzahlen auf www.eu-foerdermittel.eu seit dem Start der Webseite vor drei Jahren bestätigt, dass es ein sinnvolles Angebot ist und ich hoffe, dass wir es in der neuen Legislaturperiode fortführen können.
Im Europaparlament, mit EU-Kommission und dem Rat gab es in den vergangenen Jahren schwere Auseinandersetzungen darum, ob die ostdeutschen Länder ab 2021 weiterhin Fördermittel in einer ihrer Entwicklung angemessenen Höhe erhalten werden, damit die in 30 Jahren aufgebauten Strukturen nicht wegbrechen. Gemeinsam mit den Vertretungen der ostdeutschen Bundesländer konnten wir erreichen, dass Kürzungen voraussichtlich deutlich moderater ausfallen werden als ursprünglich von der EU-Kommission angedacht. Das Europaparlament hat außerdem umfassende Vereinfachungen an der Regional- und Förderpolitik durchgesetzt, um Aufwand bei der Verwaltung zu reduzieren und Regeln zur Vergabe von Fördermitteln zu vereinfachen. Diese Vereinfachungen - zum Beispiel mehr mit Pauschalerstattungen zu arbeiten, statt jeden Kassenzettel einzeln abzurechnen oder die Reduzierung der Anzahl von Prüfungen gerade bei kleineren Projekten - muss die Landesverwaltung nun aber auch an die Empfängerprojekte weitergeben.
Migrationspolitik ist in den vergangenen Jahren zum zentralen Thema geworden. Auch in der Regionalförderpolitik sind nun Aufgaben im Zusammenhang mit Migration und Integration klar als Förderpriorität genannt. Künftig wird es damit einfacher, Förderung beispielsweise für Renovierung und Bau von Migrant*innenunterkünften zu beantragen.
Für mich ist wichtig, dass Europa und Kommunen, regionale und nationale Eben immer zusammen gedacht werden. Ich sehe es als meine Aufgaben, den Regionen, Städten und Menschen im Europaparlament eine Stimme zu geben - denjenigen, die Rassisten auf der Straße und in Regierungsämtern demaskieren und stoppen, die zu den Seenotretter*innen stehen, zur „Fridays for Future“-Bewegung, den Mieterinitiativen oder der SaveTheInternet-Kampagne gegen Uploadfilter.