Kultur

Geschichtsreiche Andacht an Wiedertäufer

Überzeugender szenischer Gottesdienst in Sangerhausen

Bild: Günther Wagner

Bild: Günther Wagner

Sangerhausen.

Geschichte, vor allem Kirchengeschichte erlebbar und anschaulich zu machen ist eine der Professionen der Sangerhäuser Pfarrerin Margot Runge.
Wieder einmal überzeugte sie mit einem szenischen Gottesdienst am heutigen Sonntagvormittag die Anwesenden Besucher mit ihrem geschichtlichen Erkenntnissen und Wissen.
Aus alten Gerichtsakten aus Anfang bis Mitte des 16. Jahrhunderts schrieb sie eine fiktive Geschichte über die Wiedertäuferbewegung in unserer Region.
Pfarrerin Runge nimmt uns mit zurück in eine Zeit des revolutionären Umbruchs. Dazu bezieht sie ganz geschickt, wie bei vielen ihrer Veranstaltungen, das Publikum durch zuvor verteilte Informationszettel, die von diesen dann vorgetragen werden, mit ein.

Wir schreiben das Jahr 1535. Die große Schlacht während des Bauernkrieges bei Bad Frankenhausen sowie die Hinrichtung Thomas Müntzers sind bereits zehn Jahre her, jedoch haben sich die Ereignisse in das Gedächtnis vor allem der Landbevölkerung gerade in unserer Gegend eingeprägt.

Zur Vorgeschichte:

So, wie Müntzer, der durchaus als Führer einer radikalreformatorischen Bewegung im mitteldeutschen Raum angesehen werden kann, indem er im Gegensatz zu Luther sich für die Befreiung der Bäuerinnen und Bauern und der damit in dieser Zeit verbundenen und notwendigen gewaltsamen Befreiung einsetzte, entstanden unterschiedliche Bewegungen.

Hier zeigt sich auch die Ambivalenz der damaligen revolutionären Zeit, in der Entstehung und Ausbreitung der Bewegung der Täufer oder oft auch Wiedertäufer genannt. Gerade bei dieser Bewegung zeigen sich ganz gegenteilige Auffassungen von Gewalt zur Umsetzung revolutionärer Ideen.

Angefeuert durch kämpferische sozialrevolutionäre Predigten unter anderem von Thomas Müntzer und der Realisierung der eigenen Lage, der Armut und der Ausweglosigkeit sich aus dieser Situation heraus zu befreien, waren viele bereit die ständisch geprägte Ordnung gewaltsam zu verändern und zu beseitigen. Nur so war zu erklären, dass sich etwa 8000 Bäuerinnen und Bauern am 14. und 15. Mai 1525 auf einer Anhöhe bei Bad Frankenhausen mit meist nur einfachen bäuerlichen Werkzeugen, wie Sensen, Sicheln, Dreschflegeln und Gabeln bewaffnet gegen 6000 Landsknechte und zum Teil gut bewaffnete und ausgebildete fürstliche Truppen stellten.
Das Ergebnis, über 6000 gefallene Bäuerinnen und Bauern, über 600 Gefangene, von denen etwa die Hälfte noch am gleichen Tage hingerichtet wurden.
Ein Ereignis welches auch prägend war für die Überlebenden dieses Aufstandes, die nicht nur mit dem Tod der aus den Familien beteiligten Angehörigen zurande kommen mussten, sondern auch mit den anschließenden Repressionen, wie hohen Strafen und Schadensersatzforderungen des geistlichen und weltlichen Adels.

Zur szenischen Spielszene:

Vier Personen (zwei Männer, zwei Frauen), alle aus unserer Gegend erzählen ihren Werdegang, ihr Leben und ihre Erfahrungen bis zu ihrem eigenen Tod als Täufer:in.
Da ist Petronella, einer Bäckerin aus Holdenstedt sowie ihr Mann Lukas. Margaretha, die Muhme (Tante) von Petronella und Georg Knoblauch, ein Schieferhauer aus Emseloh.
Wir erfahren von ihren geheimen Versammlungen, von ihrer Begeisterung zu Thomas Müntzer und von ihren zerstörten Hoffnungen als das Bauernheer bei Bad Frankenhausen dahingemetzelt wurde.
Sie erzählen aber auch, wie „Sendboten“ (z.B. Alexander) durch unsere Gegend von Ort zu Ort zogen, predigten und tauften und Gemeinschaften von Täuferinnen und Täufern entstanden, die Kirche als Bruderschaft und Gewaltlosigkeit ansahen, so wie es im Neuen Testament geschrieben steht. Sie standen aber auch für Glaubensfreiheit oder die Trennung von Staat und Kirche, was bei den Amtskirchen und der weltlichen Macht gar nicht gut ankam.
Auch ihr Verständnis zur Taufe und damit ihre Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft, wurde von ihnen nicht mehr als Ritual nach der Geburt akzeptiert, sondern sollte eine bewusste Entscheidung eines jeden Einzelnen sein. Sie lehnten Gewalt und Kriegsdienst ab. Die Kirche, egal ob katholisch oder evangelisch brandmarkte sie als Ketzer:innen.
Verfolgung und Auslöschung ihrer Glaubensgemeinschaft waren die Folge.
Sogar die Reformatoren selbst, welche scheinbar Anfangs dafür angetreten waren, dass jeder seinen Glauben frei leben dürfe, hatten zur unbarmherzigen Verfolgung beigetragen. So hatte bei einem Prozess gegen Täufer in Jena der Mitstreiter Martin Luthers, Philipp Melanchthon die Fragen an die Gepeinigten während der „peinliche Befragung“ (Folter) gestellt.

In den Archiven sind eine große Anzahl an Täufer:innen aus unserem Kreis zu finden. So aus Riestedt, Emseloh, Lengefeld, Holdenstedt, Martinsrieth, Brücken und aus Sangerhausen.

Die damaligen Verdammungen der reformatorischen Vorgänge werden von beiden christlichen Kirchen heute nicht mehr geteilt. Sie üben Selbstkritik. So wird jedes Jahr von der Landeskirche (EKM) in Reinhardtsbrunn in Thüringen stellvertretend der vielen ermordeten Täuferinnen und Täufer gedacht.

Der szenische Gottesdienst wurde im Rahmen des Jahres der Taufe, welche die EKD 2o23 begeht sowie im Vorfeld der Veranstaltungen und des Gedenkens an den Bauernkrieg vor 5oo Jahren durchgeführt.

Wer mehr über die Arbeit der Pfarrerin Margot Runge erfahren möchte, kann dies über ihre Internetseite www.queerpredigen.com tun.
Den vollständigen Text der szenischen Lesung finden sie hier: www.queerpredigen.com/2023/06/25/taeufer

Holger Hüttel

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