Politik
Bundestagsabgeordneten eine Woche über die Schultern schauen: Tag 1 (Enquetekommission, Bildungsausschuss und ein Gast)
Heute geht’s um die Zukunft – um berufliche Bildung in digitaler Gesellschaft
Die Enquetekommision
Berlin. Guten Abend, Frau Bull-Bischoff. Wir sind gespannt, zu erfahren, was sie heute in Berlin politisch bewegen konnten.
7.30 Uhr geht’s los. Mein S-Bahnhof ist Ostkreuz im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain. Ich wohne hier während der Sitzungswoche. Bei so schönem Wetter ist schon der Weg zur Arbeit ein Erlebnis. Vorbei an kleinen Kneipen mit Angeboten aus aller Welt. Die Wahlplakate sind mittlerweile alle verschwunden. Viele Menschen machen sich so wie ich auf den Weg in den Tag. Was mag sie bewegen angesichts der schwierigen Situation in der Gesellschaft. Was spielt das in ihrem Leben für eine Rolle? Was erwarten sie von Politik? Na ins Gespräch kommen wir hier nicht. Das muss ich auf die Wochen im Wahlkreis verschieben. Für mich geht’s heute ,um berufliche Bildung.
9.00 Uhr sitzen wir in meinem Büro zusammen, um die Sitzung der Enquetekommission „Berufliche Bildung in digitalisierter Arbeitswelt“ vorzubereiten. Dort bin ich Ob-Frau für DIE LINKE. Zu meinen Mitstreiter*innen gehören Jutta Krellmann, eine linke Abgeordnete aus Niedersachsen, Uschi Bylinski, eine Professorin aus Münster, deren Herz wie meins für Inklusion - also für gute Bildung für alle (!) jungen Menschen schlägt und Angela Kennecke, von der ich in Sachen Digitalisierung in der Arbeitswelt so einiges lernen kann. Sie engagiert sich als Betriebsrätin in Bremen bei Airbus.
10.00 Uhr beginnt die Projektgruppe „Digitalisierung“. Eine ziemliche Herausforderung für mich. Selbst gewählt, denn hier kann und muss ich hinzulernen. Heute ging es darum, welche Kompetenzen für junge Menschen wichtig sind, um in der (Arbeit-)welt bestehen zu können. Eine Streitfrage ist beispielsweise: Gehört das Programmieren zu den neuen Schlüsselkompetenzen? Auf jeden Fall ist es logisches Denken, Vielfalt in eine Systematik zu bringen, vom Konkreten zum Verallgemeinerbaren zu kommen. Da sind wir schnell beim Programmieren: Zusammenhänge in Algorithmen zu bringen. Ich finde ja, Programmieren gehört dazu. Ich sage immer: Aus Vielfalt, nicht aus Einfalt entsteht Bildung. Deshalb finde ich im Übrigen das gegliederte Schulsystem antiquiert. Es ist eine Bildungsbremse! Um 12.30 Uhr sind wir fertig. Jetzt warten ein paar leckere Wiener um die Ecke auf mich und meinen Hunger.
Um 13.00 Uhr beginnt die „große Runde“ der Enquetekommission. Dieses Mal geht es international zu. Unsere Hausaufgabe in dieser Plenumssitzung ist der Blick auf Berufsausbildungssysteme in anderen Ländern. Was ist aus deren Erfahrungen zu lernen? Wie sind dort Ausbildungs- und Weiterbildungssysteme organisiert? Ein griechischer Wissenschaftler - Konstantinos Pouliakas - berichtet über die Entwicklung beruflicher Bildung in der Europäischen Union. Eine Vertreterin des estnischen Bildungsministeriums zeigt die Erfahrungen in ihrem Land auf, wie Digitalisierung gestaltet wird. Estland war im Übrigen auch Ziel einer Ausschussreise von Bildungspolitiker*innen zu Beginn dieses Jahres. In der Tat ist dort ein leistungsfähiger Internetanschluss gewissermaßen ein soziales Grundrecht. In Europa sind es vor allem Länder wie Dänemark und Schweden, die zu den Spitzenreitern in Sachen beruflicher Bildung gehören. Allerdings ist auch das deutsche duale System ein so genannter Exportschlager. Auch hier ging es um die Frage, welche Kompetenzen nötig sind, um in digitaler Welt mitbestimmen und teilhaben zu können am Arbeitsleben. Soziale Kompetenzen sind immer wieder das Stichwort: die Fähigkeit, im Team zu arbeiten, Entscheidungen gemeinsam zu treffen, zu recherchieren, nachzudenken über das eigene Tun und das der Anderen, Lösungen für Probleme zu finden. Unsere Aufgabe als Fraktion DIE LINKE wird jetzt sein, genauer aufzuschreiben, was junge Leute im System der beruflichen Bildung und auch schon vorher in den allgemeinen Schulen lernen sollen. Denn: wir nähern uns dem ersten Zwischenbericht der Enquetekommission. Und dort gehören linke Prämissen hinein!
Zwischendurch bin ich mal schnell geflüchtet: im Bistro wartete für 40 Minuten Eric Stehr auf mich. Er ist ein Schüler aus Weißenfels, den ich eingeladen habe zu „Jugend und Parlament“. Ein demokratisches Planspiel für junge Leute, das derzeit hier im Bundestag stattfindet. Interessant, seine Beobachtungen. Er wird in meinem Newsletter darüber berichten. Hier kann man sich übrigens anmelden: www.birke-bull.de.
17.00 Uhr beginne ich, mich auf den Bildungsausschuss am kommenden Mittwoch vorzubereiten. Immerhin ist dort die Debatte um Bildung in digitaler Gesellschaft ein umfassender Tagesordnungspunkt. Ich werde ihn für meine Fraktion bestreiten, im Ausschuss heißt das „Berichterstatterin“. Mir ist es wichtig, umfassend informiert zu sein, zu wissen, worum es geht. Dazu muss ich den Vorabend jetzt noch nutzen, währenddessen die linke Landesgruppe aus Thüringen nicht weit von meinem Büro den alljährlichen Bratwurstcontest abhält. Die schmackhafteste Bratwurst wird gekürt. Mein Besuch muss ein bisschen zeitlich nach hinten verschoben werden, ich schaffe ohnehin nur eine Bratwurst. Aber eine gehört zum Abschluss des Tages auf jeden Fall dazu. Schließlich sind die Thüringer*innen sehr gesellige und sympathische Leute.
19:00 Mein Besuch ist kurz nach 19 Uhr noch offen. Der Bildungsauschuss fordert halt noch meine Aufmerksamkeit. Manchmal ist Vorfreude auch hier die schönste Freude.
Das war’s für heute. Morgen ist der Tag des Sitzungssozialismus. Was sich dahinter verbirgt, erfahren Sie morgen.
Lesen Sie weiter Tag 2: https://www.mansfeller-zeitung.de/artikel/2019-06/Bundestagsabgeordneten-eine-Woche-ueber-die-Schultern-schauen-Tag-2-Sitzungssozialismus
Holger Hüttel & Antje Mindl-Mohr