Kurzmeldungen
Aghet
Gedanken zum Gedenktag des Genozids an den Armeniern.
24. April 2019
24.04.2019
MSH. Der Genozid an den Armeniern gilt als der erste systematische Genozid des 20. Jahrhunderts. Ihm fielen in den Jahren 1915 und 1916 zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Bereits zwischen 1894 und 1896 war es in den von Armeniern und anderen Bevölkerungsgruppen bewohnten Gebieten zu Massakern gekommen, aber nach dem Eintritt des Osmanischen Reiches in den 1. Weltkrieg eskalierte die Situation. Die Armenier wurden kollektiv für das Scheitern der Osmanen in Ostanatolien verantwortlich gemacht. Auf den russischen Einmarsch folgte in mehreren Wellen die Deportation der armenischen Zivilbevölkerung deklariert als kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahme, nachdem bereits im Februar 1919 die armenschen Soldaten der osmanischen Armee entwaffnet und getötet bzw. in zunächst in Arbeitsbattaillonen zusammengefasst worden waren. Am 24. April 1915 wurde die armenische Elite in Kostantinopel verhaftet. Am 27.5. 1915 erlässt die osmanische Regierung das Deportationsgesetz und beschließt somit die Verbringung aller im osmanischen Reich befindlichen Armenier in die syrische und mesopotamische Wüste. Bei diesen Deportationen handelt es sich de facto um Todesmärsche.
In Franz Werfels 1933 erschienenen Roman „Die vierzig Tage es Musa Dagh“ sagt Johannes Lepsius (von 1887 bis 1896 Pfarrer in Friesdorf/Mansfeld) zum türkischen Kriegsminister Enver Pascha:
„Und die Tatsachen werden und können Sie nicht leugnen. Hunderttausend Menschen sind bereits auf dem Wege der Verschickung. Die Behörden sprechen von Umsiedlung. Ich behaupt, daß dies, gelinde gesagt, ein Wortmißbrauch ist. Kann man ein Volk von Bergbauern, von Handwerkern, Städtern, Kulturmenschen mit einem Federstrich in der mesopotamischen Wüste und Steppe ansiedeln, in einer ozeanweiten Einöde, die sogar von Beduinenstämmen geflohn wird? Und selbst dieses Ziel ist doch nur eine Finte. Denn die Ortsbehörden richten die Deportation so ein, daß die Elenden schon während der ersten acht Tagesmärsche durch Hunger, Durst, Krankheit umkommen oder wahnsinnig werden, daß man die widerstandsunfähigen Knaben und Männer durch Kurden oder Banditen, wenn nicht gar durch Militär, umbringen lässt, daß die jüngeren Mädchen und Frauen der Schändung und Verschleppung geradezu aufgedrängt werden ...“
Johannes Lepsius hatte bereits nach den Massakern von 1894 – 1896 sein „Armenisches Hilfswerk“ gegründet und war im Zuge dieser Aktivitäten 1915 in die Türkei gereist, um mit den türkischen Machthabern zu verhandeln, was ihm, auch aufgrund fehlender Unterstützung durch das Deutsche Reich nicht gelang. Das von Werfel beschriebene Gespräch hat es wirklich gegeben. Lepsius Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei wurde direkt nach seinem Erscheinen von der deutschen Zensur verboten, nach dem Krieg erhielt Lepsius jedoch den Auftrag das Armenienmaterial öffentlich zu machen.
Den Genozid an den Armeniern überlebten circa 600.000 Menschen, die gezwungen waren, in die Diaspora zu gehen. Am 2. Juni 2016 beschloss der deutsche Bundestag die Resolution „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“. Während die Kurden das armenische Volk für ihre Beteiligung an den Massakern um Verzeihung gebeten haben, wird der Genozid an den Armeniern von der türkischen Regierung bis heute geleugnet und als militärisch notwendige Umsiedlungsmaßnahme bezeichnet.
Antje Mindl-Mohr